Gender - Versuch einer Definition

Der englische Ausdruck gender bezeichnet das soziale Geschlecht einer Person im Unterschied zu ihrem biologischen Geschlecht (engl. sex). Gender wird mithin als durch Menschen gemachte, soziale Realität gesehen und nicht als natürlich gegebenes Faktum. Diese Form der Geschlechtlichkeit entsteht und verändert sich gesellschaftlich, also in der Interaktion zwischen Individuum, Gruppe und Gesellschaft.

In diesem Zusammenhang und vor diesem Hintergrund sehen wir uns als Schule mit einer langen Tradition in der Mädchen- und Frauenbildung herausgefordert, uns mit Fragestellungen einer modernen Gesellschaft im 21. Jahrhundert, die Geschlechterfrage betreffend, zu beschäftigen.

Ein entscheidender gesellschaftlicher Strukturierungsfaktor ist das Geschlecht der Menschen, denn es macht in allen Gesellschaften einen mehr oder weniger großen Unterschied aus, ob jemand weiblichen oder männlichen Geschlechts geboren wird. Der naturalistischen Auffassung, dass mit der Zuordnung zum weiblichen und männlichen Geschlecht bereits Interessen, Fähigkeiten, individuelle Entwicklungsmöglichkeiten und gesellschaftliche Aufgaben vorgegeben sind, hat die Frauen- und Geschlechterforschung das Konzept der sozialen Konstruktion von Geschlecht entgegengesetzt.

Ausgangspunkt war zunächst die Unterscheidung zwischen sex und gender. Der englische Begriff gender bezieht sich auf die sozial konstituierte und kulturell überformte Geschlechterrolle im Unterschied zum biologischen Geschlecht (engl. sex), eine Differenzierung, die die deutsche Sprache nicht kennt. Dies ist der pragmatische Grund für die rasche Rezeption des englischen Begriffs. Gender meint also die soziale Ausformung des Geschlechts, die jedoch vielfach eng und unreflektiert mit der biologischen Geschlechtszugehörigkeit verknüpft wird, so dass Geschlechterrollen weitgehend als natürliche wahrgenommen werden.

Durch die begriffliche Unterscheidung zwischen biologischem und sozialem Geschlecht ist es möglich geworden, zu erkennen, dass sich Geschlechtsrollen je nach kulturellem Kontext unterschiedlich entwickeln, dass das (soziale) Geschlecht sozial, interaktiv, in Beziehungen unter den Menschen laufend hergestellt und immer wieder inszeniert wird und gerade deshalb auch veränderbar ist.

Wenn Geschlechter sozial „gemacht“ werden – die Theorie nennt das doing gender – wird damit ausgedrückt, dass Vorstellungen von Frauen und Männern, von männlichem und weiblichem Verhalten in sozialen Zusammenhängen entworfen und tradiert werden.

Verhalten und Vorstellungen halten sich oft unbewusst innerhalb stereotyper und tradierter Grenzziehungen und verdecken damit eine latente oder bereits bestehende Vielfalt von Unterschieden.

Demgegenüber ist in der Formulierung undoing gender die Möglichkeit enthalten, die starren Vorstellungen von dem, was die Geschlechter ausmacht bzw. unterscheidet, zunächst bewusst zu machen, dann zu differenzieren, um sie später eventuell sogar aufzulösen. Generell ist damit die Option verbunden, den Fixierungen von Geschlechtsrollen kulturell entgegenzusteuern.

Diese begrifflichen Differenzierungen sind deshalb sinnvoll, weil Frauen und Männer in der Moderne einem Prozess der Angleichung ausgesetzt sind, der gleichzeitig mit einem Individualisierungsprozess verbunden ist. Dabei werden überkommene Geschlechter-Stereotypen vor allem von Frauen in Frage gestellt.

 (nach: Genderkompetenz als Schlüsselqualifikation, Sigrid Metz-Göckel & Christine Roloff, 2013; dimeb.informatik.uni-bremen.de/.../artikel.-.Metz-Goeckel.Genderkompetenz.pdf)

Papst Franzikus greift die Thematik in seinerm nachsynodalen Schreiben „Amoris laetitia“ (die Freude der Liebe) im Frühjahr 2016 offen auf und tritt dem von vielen Menschen oft geäußerten Wunsch – es möge doch alles so bleiben, wie es war – mit klaren Worten entgegen:

„Man darf nicht ignorieren, dass »das biologische Geschlecht (sex) und die soziokulturelle Rolle des Geschlechts (gender) unterschieden, aber nicht getrennt werden [können]«.“ (AL 56)

Erstmals wird hier in einem päpstlichen Lehrschreiben die Unter­scheidung von Sex und Gender aufgegriffen und positiv verwendet.

Entlang obiger Ausführung sehen wir es in der Mädchen- und Frauenbildung als besonders wichtig an, uns in den nächsten Jahren auf diesem Gebiet ein breites Wissen zu erarbeiten und ein reflektiertes Bewusstsein bei allen am Schulleben Beteiligten zu schaffen. Hierbei wird unser besonderes Augenmerk auf dem Machen / Herstellen von sozialem Geschlecht (doing bzw. undoing gender) und dem Bewusstmachen von tradierten Rollenzuschreibungen liegen.

Pflaum-Borsi 06.12.2017